Quelle: Nordbayerischer Kurier Bayreuth, vom 9.11.2001

Disziplinarstrafen für Mörder

Judenverfolgung in Bayreuth - Geschichte des Schreckens aus Akten und Protokollen

BAYREUTH Von Ines Hoepfel

Zum heutigen 63. Jahrestag der Reichspogromnacht sprach gestern der ehemalige Bezirksrevisor am Landgericht, Helmut Paulus, über „Reichskristallnacht und Judenverfolgung - Die Situation in Bayreuth mit urkundlichen Belegen aus staatlichen Archiven und Gerichtsakten".

Viele Zuhörer, darunter der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Felix Gothart, waren zu dem Vortrag in einem Sitzungssaal des Landgerichts gekommen. Paulus befasst sich seit Jahren, unter anderem bei der Geschichtswerkstatt, mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

Mit Schautafeln wurde im Justizpalast die unmenschliche Judenverfolgung dokumentiert

Foto: Pölnitz

Anhand der Bayreuther Pogromstrafakten der Jahre 1949 bis 1952 und ausgewählter Protokolle der Spruchkammer könne man nachvollziehen, was in der Nacht zum 10. No­vember 1938 in Bayreuth geschah. Im ganzen Reich wurden in dieser Nacht Synagogen, Wohnungen und Geschäfte jüdischer Bürger zerstört, Ju­den misshandelt und verhaftet. Der „willkommene Anlass" für diese Übergriffe, sagte Paulus, sei die Ermordung des deutschen Diplomaten vom Rath durch den Juden Herszel Grynspan gewesen.

An jenem 9. November 1938 war eine Kundgebung in der Ludwig-Siebert-Halle, der heutige Stadthalle, zu Ende gegangen. Da übermittelte Gauleiter Fritz Wächtler von München aus den Befehl, dass Kreisleiter Hager vor der Synagoge eine „spontane Kundgebung" aufziehen solle. Auch in Bayreuth solle es „klappern". In einem Gespräch mit Hager gelang es dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Kempfler, wenigstens die Brandstiftung an der Synagoge und die Verhaftung einiger älterer Juden zu verhindern. Der Polizei war verboten worden, Juden, jüdische Einrichtungen und Wohnungen zu schützen.

Nicht verhindert wurde, dass rund 200 Angehörige der SA und SS die Synagoge stürmten und das Innere demolierten. Kleinere Trupps zerstörten Geschäfte und Wohnungen der Bayreuther Juden, verhafteten die Bewohner und brachten sie erst ins Alte Rathaus und später in die Viehstallungen der Rotmainhalle. Dabei seien die Trupps brutal vorgegangen, so dass viele Bayreuther Juden schwere Körperverletzungen erlitten. Rund 60 jüdische Bürger wurden in die Rotmainhalle gebracht, wo sie die Polizei wenigstens . vor weiteren Übergriffen schützte. Die Polizei schützte später in der Nacht auch die Synagoge.

Am 10. November wurden die meisten Verhafteten auf freien Fuß gesetzt, einige aber wurden ins Gefängnis nach Hof gebracht, wo sie bis zum Dezember 1938 saßen.

Die Bayreuther Presse habe bei ihrer Berichterstattung über die Vorfälle in der Reichspogromnacht die Legende von der „spontanen Volkswut" genährt. „Das Maß war wirklich voll", lautete die Schlagzeile der Zeitung Bayerische Ostmark. Zwar habe kaum ein Bayreuther an diese Legende geglaubt, die Mehrheit habe bestürzt und entsetzt reagiert, aber „sie schwiegen bis auf einige Ausnahmen", erzählte Paulus,..

Ein „Trauerspiel" sei die Ohnmacht der Justiz bei der Verfolgung der in der Reichspogromnacht begangenen Straftaten, von Sachbeschädigung bis Mord, gewesen. Eine Strafverfolgung sei nicht geschehen. Zur ermittelnden Behörde wurde die Gestapo bestellt, was das Ergebnis hatte, dass selbst die Mörder mit geringfügigen Disziplinarstrafen davonkamen.

Mord als Kavaliersdelikt

Judenmorde, berichtete Paulus, hätten damals, im Gegensatz beispielsweise zu Rassenschande-Vergehen, als Kavaliersdelikte gegolten. Nach dem 9. November 1938 habe die Verfolgung der Juden eine „neue Qualität", eine offenere Form, erreicht.

Unmittelbar nach der Machtübernahme im Jahr 1933 wurden Juden aus öffentlichen Ämtern „entfernt". So wurden erst Richter und Staatsanwälte beurlaubt, kurz darauf wurde es Anwälten verboten, Gerichte zu betreten. Auch Jüdisch versippte Beamte" wurden aus dem Dienst entfernt. Der Bayreuther Amtsrichter Karl Krauß durfte, nachdem er die Scheidung von seiner jüdischen Frau abgelehnt hatte, nur noch Grundbuchsachen bearbeiten, ehe er zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde.

Gegen jüdische Arzte, Apotheker und Wissenschaftler wurde ein Berufsverbot erlassen. Auch die systematische Verdrängung von Juden aus dem Wirtschaftsleben begann mit der Machtergreifung. Wegen des Boykotts jüdischer Geschäfte mussten immer mehr aufgeben. Gab es im Jahr 1933 in Bayreuth noch 40 Geschäfte unter jüdischer Leitung, waren es zur Zeit der Reichspogromnacht gerade noch vier. Ende 1939 war der ganze Bezirk der Industrie- und Handelskammer „judenfrei".

Bis Mitte der 30er Jahre hatten noch viele Juden gezögert, ihre Heimat zu verlassen. Nach dem 9. November 1938 wurde ihnen klar, in welcher Gefahr sie sich befanden, und die Zahl der Auswanderungen, die bis zum Herbst 1941 möglich waren, stieg. Im Jahr 1933 lebten 260 Juden in Bayreuth, 1941 waren es noch 78, die anderen waren ausgewandert.

Nur vier überlebten

Im Oktober 1941 erging der Deportationsbefehl, am 27. November 1941 wurden 46 Bayreuther Juden ins Konzentrationslager Kaiserwald bei Riga gebracht. Von dieser Gruppe überlebten vier Personen. Dagegen kamen alle elf Juden, die am 16. Januar 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, ums Leben.

Die „Schlussbilanz der Bayreuther Judenvernichtung" sei erschütternd, sagte Paulus. Laut einer Suchliste der Stadt seien 66 Bayreuther Juden in Vernichtungslagern umgekommen. Die Liste sei unvollständig, die Geschichtswerkstatt bemühe sich, die genaue Zahl zu ermitteln. „Heute erscheint es uns unfassbar, was damals geschah", sagte Paulus, der den Bayreuthern zwar zugestand, vom Ausmaß der Vernichtung nichts mitbekommen zu haben, aber von dem, was die so genannte Endlösung zwischen 1933 und 1941 vorsah, hätten sie sehr wohl gewusst.

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
27. Dezember 2001


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