Quelle: Heinrichsblatt - Kirchenzeitung für das Erzbistum Bamberg, vom 1. April 2001 - Nr.1 -  Seite 31

Menschlich schwer: Vergebung, Versöhnung

Abschluss der Woche der Brüderlichkeit mit nachdenklichen Worten

Mit 33 Veranstaltungen - von Ansbach bis Bamberg mit einem Nürnberg-Fürth-Erlanger Schwerpunkt - zeigte die von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken ausgerichtete Woche der Brüderlichkeit durchaus Profil. Bei 30 bis 300 Besuchern wurde sicher auch die wünschenswerte Breitenwirkung erzielt. Im Mittelpunkt stand das biblische Motto „... denn er ist wie du nämlich der Nächste und der Fremde."

Wenn auch hier aus dem Alten Testament (Levitikus 19,18 und 34) zitiert wird, so handelt es sich doch um das im Alten und Neuen Testament in gleicher Weise aufgeschriebene Gebot der Nächstenliebe. Und was gewöhnlich mit „liebe deinen Nächsten wie dich selbst" übersetzt wird, das hat der jüdische Gelehrte Martin Buber mit „liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du" übertragen. Eine römische Übersetzungsvariante aus dem Jahr 1997 lautet gar: Liebe deinen Mitmenschen, so wie du dich selber liebst!

Im Gespräch: Nürnbergs Dekan Domkapitular Theo Kellerer (rechts) und Rabbiner Wurmser.

Ein Kranz von Veranstaltungen

„Woche der Brüderlichkeit", das heißt Vorträge, Konzerte, Führungen, aber auch Literatur, wie zum Beispiel in Nürnberg, wo die katholische Maria-Ward-Schule im evangelischen „eckstein" jüdische Literatur (Mascha Kalenko) bot.

Christlich-jüdische    Akzente standen natürlich im Vordergrund. So fand die mittelfränkische Eröffnung dieser Verständigungswoche in der Fürther Synagoge statt. Rabbiner Wurmser betete und predigte; Oberbürger­meister Wenning sprach das Eröffnungswort. In Bamberg gab es zur gleichen Zeit eine trialogische Veranstaltung: Christen, Juden und Muslime, also Gläubige der monotheistischen Religionen trafen sich.

Ein moralischer Impuls

Höhepunkt und Abschluss der „Woche der Brüderlichkeit" war, wie alljährlich, eine Matinee im Historischen Nürnberger Rathaussaal. Im Mittelpunkt stand ein kompetenter, herausragender Redner, der langjährige Münchener Moraltheologe Prof. Dr. Johannes Gründel. Sein Thema „Vergebung/ Versöhnung tut Not, ... denn er ist wie du", sollte „theologisch-ethische Impulse für eine intensivere Begegnung" geben.

Dazu meinte der katholische Vorsitzende der jetzt 50 Jahre alten christlich-jüdischen Gesellschaft in einem Resümee, dass die moralisch-ethische   Perspektive   von Prof. Gründel in notwendiger und überzeugender Weise zusammengefasst habe, was während der Wo­che von Dr. Anke Martini bis zu Prof. Wolfgang Benz in vorausgehenden Veranstaltungen angetippt wurde, dass nämlich das gestörte Verhältnis der Kinder Abrahams (Israeliten und Ismaeliten, heute Juden und Araber) im Nahen Osten sowie geschichtliche und soziale Wurzeln, die zu Antisemitismus und Rassismus führten, über moralische Impulse zu einem Verständigungs- oder gar Versöhnungsziel gerührt werden sollten.

Der Referent: Prof. Johannes Gründel

Ausgangspunkt in Gründels Vortrag war die immer wieder gestellte Frage, ob und wie sich Christen und Juden, ebenso aber auch Deutsche und Israelis angesichts des Holocausts begegnen können? Ist Vergebung, ist Versöhnung denkbar? Oder gibt es zumindest eine Vergebensgrenze? Prof. Gründel ging von der Notwendigkeit des Erinnerns aus. Man könne sich aus der eigenen Geschichte, auch wenn sie Holocaust heiße, nicht ausblenden - wie dies in den ersten Nach­kriegsjahrzehnten geschehen sei. Verdrängung mache die Heiligung einer Situation unmöglich.

Ohne Erinnerung, auch an Judenpogrome und Naziterror, gebe es keine Möglichkeit zur Vergebung oder gar Versöhnung. Christen wüssten dies aus der Bußpraxis: Vergebung setzt eine Schuleinsicht, ein Schuldbekenntnis voraus. Doch gelte auch: Je größer die Unrechtstat, umso schwerer fällt dem Opfer - menschlich verständlich - jegliches Entgegenkommen.

Und dann ist da noch das Thema Kollektivschuld. Als Nation und auch als Weltanschauungsgemeinschaft sitze  man im gleichen Boot. Da könne man sich nicht nur mit „seinen" hervorragenden Persönlichkeiten identifizieren. Der Begriff der gemeinsamen Scham lag nahe.

Für Vergebung und Versöhnung gebe es einen großen substantiellen Unterschied, obwohl ihnen gemeinsam ist, dass weder Vergebung, noch viel weniger Versöhnung verdient oder gar gefordert werden könne. Wer Vergebung sucht, müsse den Weg eines in die Tiefe gehenden Umdenkens gehen oder, religiös gesprochen, zu Unrechtsbewusstsein, Reue und Vorsatz finden.

Eine Sündenbockmentalität ist davon weit entfernt Vergebung hat, wird sie geschenkt, eine befreiende Wirkung. Prof. Gründel verwies dabei auf die Erfahrungen mit dem barmherzigen Gott und der Erlösungstat Jesu. Vergebung ist. also wesentlich im religiösen Bereich zu verstehen und praktizier­bar.   Und   der   nichtreligiöse Mensch?

Prof. Gründel zitierte die Arbeit des jungen Philosophen Christian Lotz, der zwischen dem strategi­schen und dem wahren Verzeihen unterscheidet. Ist es schon schwer zu sagen, „ich vergebe dir", so scheint es noch schwerer zu sein zu sagen, „Wir versöhnen uns".

Hier ist ein Unterschied angesprochen: Vergebung geht nur in einer Richtung, sprich vom Opfer zum Beschuldigten; Versöhnung ist eine von beiden Seiten ausgehende Form des Gebens und Empfangens. Der Schlüssel liegt dafür bei Christen und Juden im gemeinsamen, eingangs als Motto zitiertem Gebot der Nächstenliebe.

Prof. Gründel sprach hier von der Empathie, von dem sich Hineinversetzen in den jeweils anderen. Auch wenn es Beispiele von menschlicher Größe gibt - Prof. Gründel zitierte den Berliner Domprobst Lichtenberg und die sensiblen Worte des Zweiten Vaticanums - so sei Versöhnung doch ein schwerer Weg. Deshalb sprach er vom Anfang eines Weges, der über die Erinnerung, also ein Nicht-Vergessen zu Vergebung und Versöhnung führen könne.

Franz Müller

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
26. April 2001


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