Quelle: Nordbayerischer Kurier Bayreuth, vom 10.5.2001

Der elende Tod von Kindern

Vergessene Zwangsarbeiter: Peter Engelbrechts neue Recherchen

BAYREUTH

Von Eva Bartylla

Vera wurde nur elf Monate alt. Sonja, Luba, Nadja, Wasil und Lydia starben mit neun, zehn oder 14 Monaten. Todesursachen waren offiziell Rachitis, Herzversagen, Herzschwäche oder Masern. Viktor, der nicht einmal fünf Monate leben durfte, fehlte die Nah­rung zum Leben: Tod durch Unterernährung hieß es lapidar, aber wahrheitsgemäß.

Auch die vielen anderen Säuglinge hatten nicht genug zum Überleben, weil ihre Mütter zwei Wochen nach der Geburt wieder arbeiten mussten. Ihre Mütter, junge Russinnen, waren Zwangarbeiterinnen in Bayreuth während des Zweiten Weltkrieges. Peter Engelbrecht, Redakteur beim Ring Nordbayerischer Tageszeitungen, RNT, nannte Zahlen und Fakten.

Bei seinem Vortrag „Die vergessenen Zwangsarbeiter aus Bayreuth", den er zur Veranstaltungsreihe „Erinnern gegen das Vergessen" auf Einladung des Vereins der Freunde des Stadtmuseums im Historischen Museum hielt, legte er neue Erkenntnisse seiner umfangreichen Recherchen vor.

Bewusst vernachlässigt

Höher noch als bei den Russinnen sei die Todesrate der Kleinkinder bei den polnischen Zwangsarbeiterinnen gewesen, hat er herausgefunden. Nach den Zahlen, die das Standesamt Bayreuth im Jahr 1950 genannt hatte, waren von den polnischen Toten unter den Zwangsarbeiten rund 60 Prozent kleine Kinder, bei den Russen waren es 20 Prozent.

Der „schlechtrassige Nachwuchs" sei bewusst vernachlässigt worden, sagte Engelbrecht. Er zitierte ein geheimes SS-Papier aus dem Jahr 1942, in dem die Aufforderung stand, „die hemmungslose Fortpflanzung des rassisch unbrauchbaren Polentums zu verhindern". Entsprechende Hinweise habe er für Bayreuth wohl wegen der außerordentlich dünnen Aktenlage nicht gefunden.

Für Zwangsabtreibungen ließen sich allerdings für Oberfranken genaue Zahlen nachweisen. Im Staatsarchiv Bamberg war Engelbrecht zum Thema Schwangerschaftsunterbrechungen bei Ostarbeiterinnen fündig geworden. Demnach habe es zwischen Juni 1943 und April 1945 530 Abtreibungen gegeben.

Amputation ohne Betäubung

Besonders hervorgetan habe sich der Chef des Winifred-Wagner-Krankenhauses (jetzt Hohe Warte), Dr. Heinrich Treuter. Er tötete die Kinder bis zum sechsten Monat im Mutterleib. Abtreibungen fanden noch bis zum 4. April 1945 statt, zehn Tage vor der Befreiung der Stadt durch die Amerikaner. Treuter wurde 1946 von der Spruchkammer als Hauptbelaste­ter eingestuft und zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt.

Engelbrecht verdeutlichte die menschenverachtende Behandlung vor allen der Ostarbeiter an einem Beispiel. Auf seine Veröffentlichungen hin habe sich ein Bayreutherin anonym gemeldet und 200 Mark geschickt, die während ihrer Dienstverpflichtung im Winifred-Wagner-Krankenhaus voller Entsetzen miterleben musste, wie einer jungen Russin ohne Narkose ein Finger amputiert wurde.

Nach den Recherchen Engelbrechts habe die Zahl der Zwangsarbeiter in Bayreuth nicht, wie beim internationalen Suchdienst angegeben, 300 betragen. Vermutlich seien es 2 700 Männer und Frauen gewesen. Bayreuth hatte damals rund 45 000 Ein­wohner.

Neben den vier offiziell aufgerührten so genannten Zivillagern, der Neuen Baumwollspinnerei an der Carl-Schüller-Straße, der Nährmittel­fabrik Knorr, der Mechanischen Baumwollspinnerei an der Brandenburger Straße und der Bayreuther Bekleidungsindustrie an der Badstraße, waren Zwangsarbeiter vielfach in Privathaushalten, auf Bauernhöfen, in der Gastronomie, bei Handwerkern oder Baufirmen eingesetzt. Im Privat­bereich werde häufig von einer familiären Integration berichtet.

Ein Zuhörer erzählte, dass er das frühere Kindermädchen ausfindig machen konnte und jetzt zu sich ein­lädt.

Briefwechsel geht weiter

Engelbrecht hatte in den vergangenen Monaten immer wieder Berichte über den Umfang und die Details der Zwangsarbeit in Bayreuth veröffentlicht. Der Spendenaufruf des KURIER für die noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter, die er hatte ausfindig machen können und zu denen er mit einem umfangreichen Briefwechsel Kontakt aufgenommen hatte, erbrachte 21 705 Mark (der KURIER berichtete). Das waren 1447 Mark für jedes der 15 Opfer, listete Engelbrecht noch einmal auf. Jeder habe das Geld persönlich bekommen. Der Briefwechsel werde weitergeführt, und es werde auch weiter darüber berichtet, kündigte der Journalist an.

In einem lebhaften Gespräch brachten die Zuhörer in der gut besuchten Veranstaltung eigene Erfahrungen und Anregungen ein.

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
10. Mai 2001


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