Das Hainviertel - Ein von jüdischen Bürgern geprägter Stadtteil im Süden der Bamberger Inselstadt

 

- Die Ausgangssituation im Haingebiet
- Der Kaipershof
- Die Anlage der Hain- und Schützenstraße bis 1878
- Aspekte der Bevölkerungsstruktur...
- Der jüdische Bevölkerungsanteil
- Die Hopfenhandlungen
Hopfenvillen und Hopfendarren
- Die Villa als dominierender Gebäudetyp...
- Die Hopfendarren
- Die Entwicklung der Hopfendarren
Die Entwicklung bis in die Gegenwart
- Bautätigkeiten zwischen 1878 und 1913
- Die Vernichtung der jüdischen Bewohner
- Nutzung und Bebauung[...]nach dem Zweiten Weltkrieg

Das Hainviertel ist, neben der historischen Altstadt, eines der am schönsten anzusehenden Wohnviertel Bambergs, ganz in der Nachbarschaft des Theresienhains[1] gelegen. Nach wie vor gehört es, dem Ansehen der Bamberger nach, zu den Nobelvierteln der Stadt.

Dieses Viertel zwischen Schützenstraße und Hainstraße verdankt seine Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem der wohlhabenden Schicht der damaligen Bamberger Judengemeinde. Es ist geprägt vom "Repräsentationswillen" dieser Gemeindemitglieder und der Funktion als Zentrum des jüdischen Hopfenhandels, wie es bei Eidloth heißt.

Im folgenden Kapitel beziehe ich mich vor allem auf Auszüge aus der Diplomarbeit von Volkmar Eidloth, die 1988 in den Bamberger Geographischen Schriften der Sonderfolge Nr.3, auf den Seiten 19 bis 152, abgedruckt wurde. Diese befasst sich mit der "Entstehung, Gestalt und Funktion eines Villenviertels im Wandel" zwischen 1825 und 1955. Eidloth beschränkte sein Untersuchungsgebiet auf die Wohnquartiere um die Hain- und Schützenstraße, die in ganzer Länge zwischen Schönleinsplatz und Heinrichsdamm einen Teil der heutigen Amalien-, Otto-, Schönborn-, Soden-, und E.-T.-A.-Hoffmann-Straße einschließen.

In der Entstehungszeit des an die Altstadt angrenzenden neuen Stadtviertels lassen sich vier Stadterweiterungsmodelle unterscheiden. Dies sind die "Ausdehnung in konzentrischen Ringen", eine "lineare Erweiterung", eine "Ausweitung in geschlossenen Blöcken" und die "Loslösung von der Altstadt und der Ausbildung mehr oder weniger selbständiger Siedlungskerne". Für jedes dieser Modelle findet sich in Bamberg ein Beispiel. Das Hainviertel entstand nach dem Modell der linearen Erweiterung mit den Ausflugs- und Erholungszielen Hainpark und Bug als "Attraktionen", auf die hin die Planung und Straßenführung ausgerichtet wurden.

Die Entstehung und Entwicklung des Haingebietes ist in drei Phasen einzuteilen. Diese beginnen mit der Anlage des Viertels in der Früh- und Gründerzeit bis 1888; sie setzen sich in der  zweiten Phase mit dem sogenannten "Ausbau in der Spätgründerzeit" (S. 29) bis 1913 fort und finden mit der dritten Phase,  in der Vollendung und den Veränderungen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, sowie in der Nachkriegszeit bis 1955, ihr Ende.

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Die Ausgangssituation im Haingebiet

Das Haingebiet war vor seiner Erschließung von vielen kleineren Seitenarmen der Regnitz durchflossen und trug deshalb den Beinamen "Zu den Sieben Flüssen". Wie eingangs erwähnt, liegt das Haingebiet wie auch die Altstadt Bambergs auf einer von den beiden Regnitzarmen umflossenen Insel. Diese wird im Osten vom rechten und im Westen vom linken Regnitzarm begrenzt. Vom linken Regnitzarm, mit seinem "ungeregelten Lauf", ging damals für das gesamte jetzige Wohngebiet eine große Hochwassergefahr aus[2]. Dieser Arm wurde 1852/53 von der Hainspitze bis zur Kettenbrücke begradigt. Der linke Regnitzarm wurde bereits im Mittelalter künstlich angelegt. Einer unbestätigten Vermutung zufolge,  soll er als Zwangsleistung von der damaligen Judengemeinde erstellt worden sein. Dieser Regnitzarm diente als Triebkanal zur Speisung vieler Mühlen in der Altstadt.

1867 wurde ein mächtiger Seitenarm der Regnitz, der bis nahe an den Schönleinsplatz reichte, zugeschüttet.

Einer der wichtigsten Wege führte damals entlang des linken Regnitzarmes nach Bug. Bereits im Jahr 1803 ließ Stephan Freiherr von Stengel diesen mit Linden, 1804 dann mit Pappeln bepflanzen. 1894 wurden die für den Hain heute so typischen Kastanien gepflanzt. Der Vizepräsident der Bambergischen Landesdirektion und spätere Generalkommissär des Mainkreises, Freiherr von Stengel, gilt als Schöpfer des Theresienhains. Die Anlage des Hainparks ist insofern für die Entstehung des Wohnviertels "Haingebiet" von Interesse, als die Idee, seinen Wohnraum ins Grüne, in die Natur zu verlegen, durch die Anlage des Parks sehr zum Ausbau und zur Trockenlegung des ehemaligen Überschwemmungsgebietes beitrug. Aus dem Privileg des wohlhabenden Bürgertums, ein Gartenhäuschen außerhalb der Stadt zu unterhalten, entwickelte sich im 19. Jahrhundert das Bedürfnis, die Ruhe und Natur des "Landlebens" in die Planung des Wohnens mit einzubeziehen – es entwickelten sich Formen des "Landhauslebens", die sich jedoch meist auf die Stadtrandgebiete beschränkten.[3] 1834 kaufte die Stadt den Weg und die Jagdgerechtigkeit der gesamten Gründe des Kaipershofes für 100 fl. auf.

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Der Kaipershof

Wie eingangs erwähnt, wurde das Überschwemmungsgebiet des Hainviertels ursprünglich landwirtschaftlich genutzt. Diese Wiesen und Äcker gehörten teils zum sogenannten Steinleinshöflein, größtenteils jedoch zum großen Gut des Kaipershofes. Erstmals erwähnt wurde der Kaipershof Ende des 14. Jahrhunderts als bischöfliches Lehen mit der Bezeichnung "Erlhof". Seinen späteren Namen erhielt das Gut von dem angesehenen Bamberger Bürger Fritz Keiper, der ab 1391 als Besitzer genannt wird.

1798 erwirbt der Hoffaktor und Jude Seeligmann Samuel Hesslein, aufgrund einer speziellen Erlaubnis des Fürstbischofs, die er wegen seiner im Französischen Krieg geleisteten Dienste erhielt, den Kaipershof, zum Kaufpreis von 25.000 fl. . Nach dessen Tod wurde die Frau S.S.Hessleins mit einem Geldbetrag von 50.000 fl. abgefunden und der Kaipershof ging in den Besitz seines Bruders Joseph Samuel Hesslein, den Universalerben, über. Joseph Samuel Hesslein war Bankier, hatte den Kaipershof  über zwei Jahrzehnte von den Behörden unbeanstandet verpachtet und erwarb im Jahre 1822 zudem den sogenannten Peunt, ein Feldgut von 40 Tagwerk, hinzu. 1832 wurde er aufgrund des §17[4] aus dem Judenedikt von 1813 gezwungen, seinen Hof "loszuschlagen"[5]. Diesem Paragraph zufolge mussten Juden ihre Ländereien entweder selbst bewirtschaften, wozu der Bankier Hesslein nicht im Stande war, denn ihm fehlten nach eigener Aussage die nötigen Vorkenntnisse, oder sie mussten sie verkaufen. Obwohl er seinen Besitz trotz des bestehenden Edikts zwei Jahrzehnte von den Behörden unbeanstandet so führen konnte, gelang es dem einflussreichen Bankiers nicht, die Behörden davon zu überzeugen, seine Ländereien behalten zu dürfen. Die Behörden wie auch der König erlaubten Hesslein weder einen Aufschub von zwei bis drei Jahren, um seinen Besitz zu einem angemessenen Preis zu verkaufen, noch ein "Zerschlagen" der Felder. Diese Sanktionen führten zum Untergang eines der angesehensten Häuser der jüdischen Gemeinde in Bamberg. Über den Nachlass Joseph Samuel Hessleins wurde nach seinem Tod am 28.September 1839 der Konkurs verhängt. Der Witwe Seligmann Samuel Hessleins erging es nicht anders, auch deren Nachlass war überschuldet. 1841 wird das Kaipershofschlösschen von Friedrich Vogel erworben. Aufgrund der landwirtschaftlichen Nutzung und der Aufteilung der Konkursmasse wurden die Felder bis 1869 durch ein verzweigtes Netz von Feldwegen erschlossen.

Eidloth schreibt, dass der Kaipershof für die Erschließung des Wohnviertels zwischen Schönleinsplatz und Hain die Funktion einer "Keimzelle" hatte. Der Name Kaipershof ist bis in unsere Tage erhalten geblieben. Die Hofstelle ist heute noch als hofartig erweiterte Seitenstraße vorhanden, der Aufriss ist jedoch durch die Bebauung mit modernen Appartementhäusern vollkommen umgestaltet worden.

 

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Die Anlage der Hain- und Schützenstraße bis 1878

Als auslösende Faktoren für den Baubeginn eines neuen Stadtteils in Bamberg, während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten der sprunghafte Anstieg der Bevölkerungszahlen wie auch diverse Industrialisierungsansätze. Als Beispiel hierfür können der Bau und Betrieb der mechanischen Baumwollspinnereien und -webereien, die Großbauten der Mälzerei- und Brauereiindustrie der 80er-Jahre gelten, die ebenfalls neue Akzente im Stadtbild setzten. Des Weiteren verbesserte sich die Infrastruktur hinsichtlich der Verkehrsverbindung. Diese wurde durch den Bau des Ludwig-Donau-Main-Kanals[6], 1836 bis 1845, als auch mit dem Anschluss Bambergs an die Ludwig-Süd-Nord-Bahn verwirklicht. Letztere forderte Eingriffe in das Stadtbild, wie zum Beispiel einen weiteren Regnitzübergang, um den Bahnhof mit der Stadt zu verbinden[7]. Diese städtebaulichen Veränderungen waren alle in ein Stadterweiterungskonzept des damaligen Stadtbaurates Karl Georg Lang eingebettet. Allerdings scheint dieses nur eine planerische Ebene, nicht jedoch die volle Ausführung erfahren zu haben. Als ein Vorbild  dafür wird immer wieder München genannt und hier insbesondere die städtebauliche Linie München Stadt zur Maxvorstadt und zum Gartenplatzviertel hin.

Ebenso wie für die oben genannten Baumaßnahmen und die gesamte Stadterweiterung in dieser Zeit, gab es für die Achse Hain- Schützenstraße eine, auf Generallinienpläne basierende Bauordnung, die aber lediglich den Verlauf und die Form von Straßen und Plätzen festlegte. Trotz dieser Bauordnung entstand das Hainviertel anhand von Einzelplänen, die von privaten Unternehmen vorgelegt und von der Stadtgemeinde und der Landesregierung meist problemlos bewilligt wurden. 1871 ließ der Stadtmagistrat von Bamberg sogar eine schrittweise Bebauung zu und beabsichtigte, das Ganze am Schluss mit Straßen einzufassen, um ein "abgerundetes Ganzes" herbeizuführen (Eidloth S. 40).

Am 4. Juli 1862 reichten die jüdischen Kaufleute Emanuel Dessauer und Nathan Rosenwald die ersten Baugesuche ein. Sie wollten auf dem bereits erworbenen "Dangelgarten" zwei Villen mit Hopfendarren errichten. Hiermit waren die ersten wichtigen Anhaltspunkte für die weitere Bebauung geschaffen. Im Jahr 1868 wurde der ehemalige Schießhausgarten verkauft und ebenfalls in Bauplätze umgewandelt. Obwohl die Entstehung des neuen Wohngebietes als eher sukzessive zu bezeichnen ist, finden sich in seinen Grundrissen typische spätklassizistische Züge. Die Gestaltung der Bauplätze und Straßen folgt einer geometrisch regelmäßigen Aufteilung und es ist das Bemühen um möglichst geradlinige und parallele Fluchtlinien zu erkennen. Dieser Grundriss ist demnach ganz dem absolutistischen Städtebau des 18. Jahrhunderts verpflichtet, mit dem einen Unterschied, dass die hierfür typischen Punkte, welche die Längsprofile markieren, fehlen.

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Aspekte der Bevölkerungsstruktur sowie der sozialen Schichtung in Hainstraße und Schützenstraße um 1878

Die weitgehend einheitliche Struktur der Bebauung trotz fehlender Bebauungspläne und der sehr geringe Anteil sogenannter juristischer Personen bei den Hauseigentümern, lassen weitestgehend darauf schließen, dass die meisten Hauseigentümer der sozialen Oberschicht zuzurechnen waren. Bei Eidloths Einteilung der Eigentümer werden sogenannte natürliche von juristischen Personen unterschieden. Der Anteil natürlicher Personen als Hausbesitzer im Haingebiet  wird weiterhin unterteilt in die soziale Grund-, Mittel- und Oberschicht, die sich zueinander in den Verhältnissen 3,8% : 9,4% : 86,8% als Hausbesitzer wiederfinden.  Der Anteil juristischer Personen als Hausbesitzer, welche in Unternehmen, Organisationen und Körperschaften zu unterteilen wären, spielen um 1878 so gut wie noch keine Rolle im Untersuchungsgebiet. 93 % aller Häuser in der Hain- und Schützenstraße befanden sich damals in privatem Besitz, wobei sogar 71,7% der Eigentümer als "Hausherren" ihre Immobilie selbst bewohnten. In der Hainstraße, auf die ich das Augenmerk besonders richten möchte, sind es sogar 95,5% der Eigentümer, die selbst in ihren Häusern wohnten. In der Schützenstraße beträgt dieser Anteil "nur" 57,1%, woraus auf eine größere Zahl von Mietern zu schließen ist. Die Schützenstraße unterscheidet sich in ihrer Bebauung auch insofern von der Hainstraße, als dass dort vorwiegend Familien- und Mietshäuser erbaut wurden, wohingegen in der Hainstraße Einfamilienhäuser und Villen dominieren.

All diese Ausführungen weisen das Großbürgertum Bambergs als Erbauer, Gestalter und Bewohner dieses neuen Stadtteils aus, die durch ihren Repräsentationswillen und mit dem Hintergrund einer gewissen "Flucht aus der Enge der Stadt" dem Haingebiet seine Identität gaben.

Betrachtet man die Anzahl der verschiedenen Berufsgruppen, so fanden sich neben einem leitenden Beamten, einem Freiberufler und sieben Privatiers insgesamt 37 Unternehmer. Ein Drittel der Eigentümer waren Baumeister oder hatten ähnliche Berufe, sie bauten oder kauften vorwiegend in der Schützenstraße. Den Rest dieser Sparte stellt ausschließlich der Berufsstand der Hopfenhändler, die sich vorwiegend auf die Hainstraße konzentrierten.

Zu diesem für die Hainstraße so wichtigen Berufsstand zählten vorwiegend jüdische Kaufleute.

Die Firmen der Hopfenhändler unterschieden sich in ihrer Bedeutung und ihrer Geschäftsstruktur. Es waren ebenso reine kommissionäre Hopfenhandlungen wie auch Großhändler mit eigenen Darren, großen Lagern und Filialen oder Agenturen im Ausland vertreten[8].  Oft waren Hopfenhändler auch nur Großhändler mit internationalen Geschäftsbeziehungen, die in dieser Zeit reine Spekulationsgeschäfte tätigten. Der Gruppe jüdischer Hopfenhändler gehörten auch einige Gründer der für die Bamberger Wirtschaft vor 1900 sehr wichtigen Mälzereien und Großbrauereien Bambergs an.

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Der jüdische Bevölkerungsanteil

Wie im vorhergehenden Kapitel erwähnt, waren die meisten der Hopfenhändler in der Hainstraße jüdischen Glaubens. 38,6% der gesamten Hauseigentümer im Hainviertel waren Juden und in der Hainstraße befanden sich fast zwei Drittel der Villen in jüdischem Besitz. Im Vergleich dazu betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung Bambergs im gesamten Stadtgebiet, um 1885, nur 4,1%. Im 1. Distrikt, zu dem das Hainviertel zählte, waren es  bereits 9,6% der Bevölkerung.  Die "Konzentration jüdischer Bevölkerung in den vornehmen Wohnvierteln des 19. Jahrhunderts"[9] führt Eidloth auf verschiedene Faktoren zurück. Neben dem typischen Zusammengehörigkeitsgefühl als Fremdgruppe wird vor allem die schrittweise Judenemanzipation im 19. Jahrhunder, aufgrund des Edikts von 1813 in Bayern, die Abschaffung des Matrikelparagraphen und die daraus resultierende Freizügigkeit genannt. Als Folge dieser Freizügigkeit, kommt es zu einer Landflucht, welche die Anzahl jüdischer Mitbürger in Bamberg stetig steigen ließ. Sind es in Bamberg 1867 noch 708 Bamberger jüdischen Glaubens so steigt diese Zahl 1871 auf 857 und 1880 auf 1269 Einwohner an, damit ist das Maximum der jüdischen Einwohnerzahl in Bamberg erreicht. Später sank die Zahl der jüdischen Einwohner wieder unter 1000. Neben dieser neu gewonnenen horizontalen Mobilität sei auch auf eine vertikale Mobilität hinzuweisen. Sie begründet den Wohlstand und die Grundlage für die Bauvorhaben in Bambergs Nobelwohnviertel.  Der Aufstieg eingesessener und zugewanderter jüdischen Bürger gründet sich auf Fleiß und Sparsamkeit. Viele von ihnen erwarben, durch die neugewonnenen Chancen und Möglichkeiten der sogenannten Judenemanzipation, akademische Titel oder gründeten eigene Geschäfte und Firmen. Mit der Zeit spielten die Juden im Bamberger Gesellschafts- und Kulturleben eine wichtige Rolle. Viele von ihnen traten als Förderer von Kultur und Wirtschaft auf. Sie bekleideten wichtige Ämter, waren als Ärzte und Anwälte in Bamberg tätig. Einige Familien der  jüdischen Gemeinde zählten zu den wohlhabendsten Familien in Bamberg, was sie letztendlich auch als Bauherren in der Hainstraße in  Erscheinung treten ließ.

 

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Die Hopfenhandlungen

Der Bamberger Hopfenhandel war eine jüdische Domäne. In Bamberg wurde der Hopfenanbau während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Nachfolgekultur des Weinanbaus finanziell von der Obrigkeit und dem Fürstbischof gefördert. 1870 gab es in Bamberg bzw. an den umliegenden Hängen 254 Tagwerk Hopfengärten, denen nur noch 16 Tagwerk Weingärten gegenüberstanden. Noch 1889 wurde auf den westlichen Höhenzügen um Bamberg, an den Hängen der Altenburg und des Michaelsberges, von den ehemaligen Weinbauern, den Häckern, Hopfenbau betrieben.[10]

Anfang der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts galt Bamberg als der führende Umschlagplatz für fränkischen Hopfen, der fest in jüdischen Händen war. 1846 musste Bamberg von dieser Bedeutung ein wenig an den neu gegründeten Hopfenumschlagplatz Nürnberg abtreten. Der Grund hierfür scheint der Versuch einer Marktordnungsänderung zu sein. Die königliche Regierung von Mittelfranken war mit ihrer Bestrebung, in den Hopfenhandel zugunsten nichtjüdischer Händler einzugreifen, jedoch nicht sonderlich erfolgreich. Der neue Hopfenumschlagplatz in Nürnberg lief dem in Bamberg zwar den Rang ab, war jedoch ebenso in jüdischen Händen. Bamberg blieb dennoch einer der bedeutendsten Umschlagplätze für fränkischen Hopfen.

Als einer der den Hopfenhandel forcierenden Faktoren kann generell der Aufschwung der Bierproduktion gesehen werden. Dieser wiederum ist im Zusammenhang mit der Verbesserung infrastruktureller Einrichtungen zu betrachten. So wurde zum Beispiel das bayerische Eisenbahnnetz stetig erweitert und an außerbayerische Netze angebunden. Es entstanden transatlantische Dampferlinien die einen verstärkten Handel mit Übersee möglich machten. Hierdurch gewann der Handelsverkehr zunehmend an Bedeutung und Wirtschaftskraft. Parallel dazu wurden das Telegraphen- und Kabelwesen ausgebaut. Diese wirkten sich auf eine Verbesserung der Waren- und Korrespondenzbeförderung aus. Unter den ersten dreißig Telefoninhabern 1876 befanden sich acht jüdische Hopfenhandlungen[11]. Durch diese Entwicklungen in der Infrastruktur wurden neue Märkte aufgetan, es stieg die Nachfrage nach fränkischen Produkten, in meinem Beispiel nach Bier, und die Summe dieser Faktoren begünstigte letzten Endes den Hopfenhandel in Bamberg.

Im Bamberger Branchenverzeichnis von 1872 sind 76 Hopfenhandlungen verzeichnet, von denen 22 ihren Firmensitz in der Hain- oder in der Schützenstraße hatten[12]. Bis auf zwei Neugründungen bestanden diese bereits vor dem Bau des Hainviertels. Vor dem Umzug dorthin konzentrierte sich der Hopfenhandel auf die Lange Straße und den Steinweg,  beides sind alte Fernhandelsstraßen. Weitere Hopfenhändler waren, abgesehen vom westlichen Berggebiet, vereinzelt über die mittelalterliche Altstadt verstreut. Die Umsiedlung aus der Altstadt ins Haingebiet fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Ein Grund für diese Umsiedlung war ein gestiegener Platzbedarf, der in der engen Altstadt nicht mehr gewährleistet war. Bereits 1878 gab es mehr Hopfenhandlungen im Haingebiet als in der Altstadt. 1899 waren sogar noch Zuwächse dieser Branche in der Hainstraße, an der Promenade und in der dem Bahnhof nahe gelegenen Luitpoldstraße zu verzeichnen.

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Hopfenvillen und Hopfendarren

Die Villa als dominierender Gebäudetyp in der Hainstraße

Die führende Stellung im süddeutschen Hopfenhandel blieb nicht nur auf die wirtschaftliche Bedeutung Bambergs beschränkt, sie manifestierte sich auch in baulicher Form im Haingebiet. Das Haingebiet war von seinem primären Zweck her ein Wohngebiet. Als Gebäudeform dominierte, neben prächtigen Einfamilienhäusern in der Schützenstraße, eindeutig die "Villa". Zur Definition Villa steht in Meyers großem Konversationslexikon (Bd. 20 von 1908, S.164): "Im 19. Jh. hat der Villenbau eine solche Ausdehnung genommen, dass die Vorstädte und Vororte fast aller größeren Städte großenteils aus Villen oder villenartigen Eigenhäusern bestehen, wodurch der Villenbau zu einem besonderen Zweig der modernen Baukunst  geworden ist. Vorgärten, Veranden, offene Balkone, Freitreppen, Erker und dergleichen sind die charakteristischen Eigentümlichkeiten der modernen städtischen Villen."

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Eidloth zitiert, zwecks einer weitern Klärung des Villenbegriffs, im Folgenden Bentmann/Müller (1979), der mit Villa:"Ursprünglich allgemein ein Wohnhaus auf dem Lande, entstanden im Cinquecento, als Venedig von  der Terraferma Besitz ergriff, ein bis ins 19. Jh. hinein gültiger Villenbegriff, der – ganz in der Tradition der römischen Antike – mit Villa den Landsitz der herrschenden Schichten bzw. das Herrenhaus des Landeigentümers meinte." Als wichtige Kriterien der Villa des 19. Jahrhunderts nennt er die Einzelbauweise, die freie Stellung mit möglichst allseitiger Abgegrenztheit durch Park- oder Gartenanlagen, normalerweise zwei Vollgeschosse mit wenigstens fünf Fensterachsen, eine reiche Fassadendekoration und repräsentative Bauelemente.  Die typische Lage inmitten der Ländereien des Grundbesitzers sieht Eidloth mit der naheliegenden Parkanlage des Theresienhains erfüllt. Nach diesen Kriterien kann man von Villen in der Hain- und Schützenstraße sprechen, obwohl diese nicht auf dem Land, sondern am Stadtrand standen. Sie vereinten das bürgerliche Stadtleben mit dem Charme des Landlebens. Viele der Gebäude wurden spätklassizistisch[13] gestaltet, es ist jedoch nicht möglich von einem einheitlichen Stil zu sprechen. Neben dem Spätklassizismus findet sich auch eine Villa mit Elementen des flämischen Barock, wie sie die Villa Dessauer aufweist. Des Weiteren kann man Dekorationsmotive des fränkischen Rokoko, der Neurenaissance im Stil Louis XIII. und des Maximilianstils antreffen. In der Hainstraße 11 findet man eine romantisierende Burgvilla im Stil der deutschen Renaissance. Ein Haus weiter begegnet man bereits einer neugotisch umgestalteten Villa. Das heutige Staatsarchiv wird von Eidloth als eine "mehrteilige, schlossartige Anlage aus barockisierenden Quadratbauten" identifiziert (S. 80). Es scheint ein buntes Durcheinander der Stilformen vorzuherrschen, welches sich aber zu einem interessanten Ensemble nobler Wohnhäuser gruppiert. Die Baustilvielfalt drückt zugleich den individuellen Repräsentationswillen wie auch eine Form patriotischen "Deutschtums" der Erbauer aus, die für diese Zeit typisch zu sein scheinen.

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Die Hopfendarren

Der Bau von noblen Villenvierteln ist, wie aus dem Zitat von Meyers großem Konversationslexikon hervorgeht, keine Besonderheit, diese gab es in anderen Städten wie Frankfurt, Hamburg oder Basel in vergleichbaren Ausführungen. Was das Bamberger Hainviertel mit seiner Bebauung auszeichnet ist das Ensemble der sogenannten Hopfenvillen. Wie erwähnt, traf man in der Hainstraße viele Hopfenhandlungen an. Abgesehen von einigen Ausnahmen, gehörten zu den Wohnhäusern der Hopfenhändler, neben den üblichen Nebengebäuden wie Wagenremisen, Ställen, Bedienstetenunterkünften, Gartenhäuschen und Lauben, vor allem die sogenannten Hopfendarren. Diese waren in Größe und Grundriss den Villen ähnlich gestaltete Lager- und Hopfenveredlungsstätten[14]. Ihr Grundriss war meist rechteckig und dessen Fläche oft der Größe der zugehörigen Villa gleich. Die Fassaden waren anhand streng geordneter Lisenen, Bänder und Fensterreihen repräsentativ gestaltet.

Abb7.jpg (18851 Byte) Spätklassizistische Hopfenhändler-villa mit dahinterliegender Hopfen-darre, welche  noch die typische Fasadengliederung durch Lisenen und Bänder aufweist. Die ehemalige Firma des Hopfenhändlers Gustav Buxbaum wird heute als Praxis und Wohnhaus genutzt.

Die Hopfendarren waren im Durchschnitt dreigeschossig angelegt und mit einem Satteldach gedeckt. Zahlreiche Öffnungen mit typischen Kniestöcken wiesen auf ihre Funktion als Lager und Trockenraum hin.

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Die Entwicklung der Hopfendarren

Das Verfahren, Hopfen haltbar zu machen, war bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt. Zum Zweck der Haltbarkeit wurde der Hopfen geschwefelt, danach auf Feuer gedörrt, hydraulisch gepresst und luftdicht verschlossen oder in Leinwand gepackt. Zu Beginn  waren sich die Behörden Mittelfrankens über gesundheitliche Gefahren nicht im Klaren und verhängten von 1830 bis 1858 ein Hopfenschwefelverbot. Nachdem die anfänglichen gesundheitlichen Bedenken ausgeräumt waren, bei Herbert Loebl heißt es, dass der Chemiker Justus von Liebig 1862 die Unbedenklichkeit des Verfahrens bescheinigt[15], verbreitete sich dieses Verfahren sehr schnell. 1882 waren im Verzeichnis über Hopfenschwefeldarren 32 Anlagen in Bamberg zu finden, von denen mindestens 13 Schwefeldarren im Haingebiet angesiedelt waren. Im Jahr 1878 erließ der Stadtmagistrat in Bamberg erste Richtlinien für Hopfendarren nach dem Modell eines "Normalplans" aus Nürnberg. Erst sechs Jahre später, am 12. Februar 1884, erließ der Stadtmagistrat Bambergs eine "überarbeitete, endgültige Fassung von Normativ-Bestimmungen für die Anlage von Hopfentrocken- und Hopfenschwefeldarren" (Eidloth S.102).

Als Beispiel sollen einige der Auflagen für das 1884 eingereichte Baugesuch der Schwefeldarre in der Hainstraße 18 genannt werden. Die meisten der 14 Paragraphen umfassenden Normativ-Bestimmungen betrafen Reglementierungen bautechnischer Natur und sollten der Feuersicherheit dienen. Die Bestimmungen sahen zum Beispiel vor, dass die gewölbten Feuerungsräume aus Backsteinen gemauert und der Eingang separat von außerhalb des Gebäudes begehbar angelegt waren. Außerdem mussten die Darren selbst aus feuerfestem Material gefertigt sein, die Fenster durften sich nicht öffnen lassen und alle Türen hatten aus Eisen zu bestehen. Des Weiteren durfte ausschließlich Holzkohle zur Feuerung verwendet werden, die Luftzufuhr war von außerhalb des Gebäudes durch einen gemauerten Schacht anzulegen und der Abstand des Darrbleches zur Herdoberfläche mit den Schwefelpfannen, war auf 5,5 Meter Mindestabstand festgelegt.  Von besonderer Bedeutung waren § 8, der die Höhe der Schornsteine, nämlich 2m über dem First der nächstgelegenen Nachbargebäude, festlegte und § 12, der das Schwefeln bei ungünstiger Witterung vollends verbot. Die Einhaltung der Vorschriften war durch polizeiliche Kontrollen gewährleistet, welche mit dem Abschlussparagraphen festgelegt waren. Mit diesen Beispielen konnte nur ein Ausschnitt aus der Vielzahl der detaillierten Bestimmungen gegeben werden. Diese beeinflussten jedoch Gestalt und Aussehen der Hopfenschwefeldarren.

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Entwicklungen bis in die Gegenwart

Bautätigkeiten zwischen 1878 und 1913

Bis 1890 wurden im Haingebiet keine nennenswerten Bauvorhaben verwirklicht. In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurden lediglich 5 Villen erbaut. Als Grund für diese Stagnation kann die Überschwemmungsproblematik des Haingebiets angeführt werden, was die schweren Hochwasser im Februar 1876 verdeutlichten[16]. Maßnahmen wie die Bereitstellung von Kähnen, um bei Überschwemmungen den Transport der Anwohner zu ihren Wohnungen zu sichern oder die Überlegung, für Hochwasser extra Stege in einem Lagerhaus am Zwinger bereit zu stellen, endeten in einem Ende April erlassenen Bauverbot.

Erst ein ab 1883 begonnenes umfangreiches Hochwasserfreilegungskonzept, das noch heute im Bamberger Stadtbild zu erkennen ist, lässt 1890 einen weiteren Ausbau des Haingebietes zu. Zu diesem Zweck wurde eine Flussmulde am Nordrand des Luisenhains genutzt und der Heinrichsdamm angelegt. Auf diese Weise entstand ein neuer Straßenzug, der von der Hainstraße, ab Ottostraße, über die Sophienstraße (heute Willy-Lessing-Straße) und die Luitpoldstraße eine Verbindung vom Haingebiet zum Bahnhof schuf [17]. Obwohl ein Hochwasser von 1909 bewies, dass Bamberg noch immer nicht ganz sicher war, so konnten die beiden Regnitzarme nun doch mehr als die doppelte Wassermenge fassen. Im November 1889 begann man mit der Planung des südlichen Haingebiets[18], die in ihrer ersten Phase noch ganz den klassizistischen Vorgaben verpflichtet war. In der späteren Gestaltung bezog man auch Reformideen mit ein, wie die des Städteplaners Sitte bei denen es galt, "in malerischer Komposition geschlossene Raumbilder zu vereinen"[19]. So wich man von der streng geometrisch rechteckig parallelen Straßenführung ab und ließ z.B. die Krümmung von Straßenzügen zu.

Ein weiteres Ziel war die Verbesserung der Infrastruktur. Ein erster Schritt war die Errichtung des Königlichen Kreisarchivs, dem heutigen Staatsarchiv. Es wurde 1902/05 von Fritz Fuchsenberger an der Ecke Hain- /Sodenstraße, in Form einer mehrteiligen, schlossartigen Anlage erbaut. Eine der wichtigsten Bereicherungen für die jüdischen Bewohner des Haingebietes dürfte der Bau der vierten Synagoge am Rande des Hainviertels, Ecke Herzog-Max-/Urbanstraße, dargestellt haben. Sie wurde von dem Bamberger Architekten Johannes Kronfuß geplant und 1910 feierlich eingeweiht. Ebenfalls von Johannes Kronfuß geplant und errichtet, wurde 1904 die Ressource, das Vereinshaus der jüdischen Ressource-Gesellschaft, fertiggestellt.

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Staatsarchiv Ecke Hain- / Sodenstraße

Die Ressource-Gesellschaft wurde 1827 als "Israelitischer Leseverein" gegründet und war als Pendant zu den Bildungs- und Geselligkeitsvereinen des nichtjüdischen städtischen Bildungsbürgertums zu verstehen.Im Weiteren wurde das Hainviertel 1891/92 durch einen aufwendigen Baublock zwischen Friedrich- und Schützenstraße, sowie die Errichtung von Mietshausneubauten nach der Jahrhundertwende, städtebaulich an den Schönleinsplatz angebunden. Eine verkehrsmäßige Erschließung ganz besonderer Art erfuhr das Haingebiet durch eine Linie der 1897 eingerichteten elektrischen Straßenbahn, die am Theresienhain sogar einen Endpunkt aufweisen konnte[20].

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Die Vernichtung der jüdischen Bewohner

Bereits nach dem ersten Weltkrieg und in den 20er-Jahren unseres Jahrhunderts gab es in Bamberg antisemitische Hetze und Ausschreitungen gegen jüdische Bürger[21]. Trotzdem lebten 1925 noch 972 Juden in Bamberg, die zwar mit ca. 1,9% der Bamberger Gesamtbevölkerung nur einen sehr geringen  Bevölkerungsanteil ausmachten, wirtschaftlich jedoch zu den bedeutendsten jüdischen Gemeinden Deutschlands zählten. Bereits 1939 war die jüdische Einwohnerschaft Bambergs auf weniger als die Hälfte des Jahres 1925 dezimiert worden (418 Personen), dies waren 0,7 % der Gesamtbevölkerung. Im Mai 1945 lebten in Bamberg nur noch 15 Juden in sogenannten Mischehen, der Rest der ehemaligen jüdischen Gemeinde war vertrieben oder deportiert und ermordet worden.

Einige Stationen des antisemitischen Terrors waren die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933, der 1. Boykotttag gegen jüdische Geschäfte am 1.4.1933, der Erlass der Nürnberger Gesetze "zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" am 15.9.1935, die Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der die 1910 eingeweihte neue Synagoge total niedergebrannt, vernichtet und später gesprengt wurde, sowie die 1941 beginnenden Deportationen in den Osten und somit in die Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis. In der Zeit zwischen 1933 und 1943 sind 66 jüdische Bamberger verzogen, wanderten 443 Juden aus und wurden 228 jüdische Mitbürger deportiert. Das Gebäude Ressource wurde 1934 von der NSDAP beschlagnahmt und als Parteizentrale genutzt. Kurz vor dem Einmarsch der US-Armee in Bamberg wurde die Ressource von der NSDAP gesprengt, um eine Übernahme durch die US-Armee zu verhindern und wichtige Akten zu vernichten.

Mit der Arisierung ging eine Enteignung jüdischen Besitzes einher.  In vielen Fällen wurden Häuser jüdischen Besitzes an "NSDAP-genehme" Personen, zu nur 20% des Verkehrswertes bzw. 30% des Einheitswertes "verkauft". Unbebaute Grundstücke wechselten zu 8% bzw. 10% ihres Wertes den Besitzer. Über die Bedingungen, die in der Verordnung zur Anmeldung jüdischen Besitzes festgelegt waren, wurden die jüdischen Haus- und Grundbesitzer gezwungen, zu verkaufen.

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Nutzung und Bebauung des Haingebiets nach dem 2.Weltkrieg

Im Gegensatz zur Altstadt, die weitestgehend von der Zerstörung durch Kriegseinwirkung verschont blieb, gab es in den Rand- und Neubaugebieten Bambergs vereinzelte bis starke Zerstörungen[22]. Das Haingebiet wurde mehrmals getroffen. Am Abend des 2. Januar 1945 musste ein Bomber, der sich auf dem Weg zum Großangriff auf Nürnberg befand, seine Ladung frühzeitig wegen eines Notfalls abwerfen. Diese Bomben trafen Bereiche der Hain-, Soden- und Schützenstraße. An diesem Abend wurde das Staatsarchiv schwer beschädigt. Weitere Bombenabwürfe gab es am 16. Januar und am 22. Februar 1945, wobei letzterer zu den schwersten Bombenangriffen auf Bamberg zählte. Nach einer Karte vom April 1945 über die Gesamtschäden in Bamberg wurden vor allem im südlichen Untersuchungsgebiet zahlreiche Wohnungen zerstört. Insgesamt wurden 25 Wohnhäuser als leicht beschädigt, sieben als stark beschädigt und eines als total zerstört, erfasst. Bereits in den 50er-Jahren wurden alle beschädigten Häuser wieder in ihren ursprünglichen Zustand hergestellt. An die Stelle des zerstörten Hauses wurde ein neues Einfamilienhaus gebaut. Die Kriegsschäden als solche führten demnach zu keiner baustrukturellen Veränderung des Haingebietes.

Nach dem Verlust der ehemaligen Trägerschicht der Bebauung und der weitgehend rücksichtslosen Ersetzung ehemaliger Hausbesitzer durch "NSDAP-Genehme" während des dritten Reiches, zogen nach der Kapitulation und Übernahme Bambergs Angehörige der US-Armee in viele Häuser des Haingebiets ein. Die Amerikaner beschlagnahmten Häuser die ihnen zusagten, zwangen die Hausbesitzer und Angestellten auszuziehen, wobei das Mobiliar in den Häusern zu verbleiben hatte, und wandelten auf diese Weise innerhalb von zwei Jahren 847 Wohnungen in der Stadtmitte, in Bamberg-Ost sowie im Haingebiet in sogenannte Besatzungsunterkünfte um. 1952 wurden bambergweit noch 442 Wohnungen auf diese Weise genutzt und 1955 waren noch 28 Anwesen im Untersuchungsgebiet als von US-Amerikanern bewohnt im Einwohnerbuch Bambergs eingetragen. Im Haingebiet betraf diese Nutzung vor allem spätklassizistische Villen der nördlichen Hainstraße und einen Teil der, zwischen den Kriegen entstandenen, Villen- und Einfamilienhäuser. Die Schützenstraße blieb dafür weitgehend ungenutzt. Neben Offiziersunterkünften fanden sich im Haingebiet vor allem Dienststellen des amerikanischen Gerichtsoffiziers und das Büro des US-Gouverneurs. Das Schützenhaus am Schönleinsplatz diente den Offizieren als Kasino.

Bis 1955 wurden im nördlichen Haingebiet keine nennenswerten Bebauungen mehr durchgeführt, da sich bereits vor dem 1. Weltkrieg dort kaum noch unbebaute Flächen befanden. Als einzig spektakulären Neubau nach 1955 kann das Parkhaus Schützenstraße genannt werden, welches in der nördlichen Schützenstraße in einem Neubau  als Tiefgarage integriert wurde. Der Gebäudekomplex beinhaltet neben der Tiefgarage eine Lokalität, Geschäfte, Büroräume und Wohnungen. Er befindet sich in der rückwärtigen Nachbarschaft zum Ärztehaus, das an der Stelle der früheren Ressource errichtet wurde.

Das südliche und süd-östliche Haingebiet wurde nach dem Krieg erheblich ausgebaut. Dort finden sich heute eine Vielzahl von Wohnungen, die der typischen Bebauung nach dem Krieg, mit kleinen Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie kleineren, Mietskasernen ähnlichen Häuserblocks, entsprechen. Die Bebauung füllt heute eine Fläche fast lückenlos aus, die, ausgehend von der Altstadt, die Hainstraße und den Heinrichsdamm als Grenzen hat. Vor allem das Gebiet um die Wetzel- Clavius- und Dientzenhoferstraße wurde in dieser Nachkriegszeit erschlossen.

Mit der Vernichtung der Juden in Bamberg ist zugleich der Hopfenhandel in Bamberg wie im Haingebiet verschwunden. Die ehemaligen Hopfendarren werden nun als Wohnhäuser oder als Büroräume genutzt.

Rückwärtige Ansicht der ehemaligen Hopfendarre von Gustav Buxbaum, in der Hainstraße 20. Das Gebäude wird heute als Wohnhaus genutzt. An der Gibelseite (links) sind die für Hopfendarren typischen, senkrechte verlaufenden Lisenen der Fasadenaufteilung zu erkennen.

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Bereits 1955 waren im nördlichen Untersuchungsgebiet Wirtschafts- und Wohnfunktion miteinander vermischt. Waren damals auch vereinzelt kleine Handwerksbetriebe angesiedelt, so ist die heutige wirtschaftliche Nutzung des noblen Wohngebiets vorwiegend im tertiären Sektor zu finden. In der Schützen- und Hainstraße sind heute, neben Wohnhäusern, vorwiegend Dienstleistungsbüros wie Anwaltskanzleien, Versicherungen und Arztpraxen angesiedelt. Was aus der Gründerzeit, der Zeit der Hopfenhändler und Hopfenvillen geblieben ist, ist der Charme eines Wohngebiets romantisierender und vaterlandsliebender Deutscher.

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[1] Der Theresienhain geht südlich in den Luisenhain über. Beide bilden eine Parkanlage die, damals wie heute, den Bambergern zur Erholung und zur sportlichen Betätigung (Ruderclub) dient.

[2] Eidloth (1988) S. 30

[3] Eidloth (1988) S. 34; siehe auch Gartenkultur in anderen Städten wie Nürnberg, Fürth, Frankfurt, etc.

[4] Eckstein sieht in diesem Paragraphen die Absicht künstliche jüdische Ackerbauern züchten zu wollen – siehe Eckstein (1910) S. 41

[5]  Eckstein (1910) S. 41

[6]  Die städtebauliche Einbindung des Kanals blieb jedoch in den Anfängen stecken – Eidloth (1988) S. 39

[7]  Eidloth (1988) S. 39

[8]  Loebl (1999) S. 298

[9]  ebenda S. 67

[10]  ebenda S. 68 ff.

[11] Loebl (1999) S. 295

[12] Eidloth (1988) S. 70

[13] In der Encarta 98 Enzyklopädie von Microsoft steht zum Klassizismus: Im Besonderen bezeichnet der Begriff des Klassizismus eine in Europa und Nordamerika vorherrschende Stilepoche zwischen 1750 und 1830, zu der  und Louis-seize gehören. Ziel dieser Strömung war es, die intime Verspieltheit deso und die Überladenheit des Spät zugunsten einer "klassischen" Formstrenge zu überwinden. Mehr als nur eine Wiederbelebung der Antike, steht dieser Klassizismus im engeren Sinne u. a. mit den revolutionären Ereignissen in Frankreich  und Nordamerika in Zusammenhang. Er hatte somit auch eine ideologische Funktion, indem er das demokratische Ideal der griechischen Antike, welches man in der antiken Kunst reflektiert sah, zum Ausdruck bringen sollte. Aber auch die absolutistischen Fürsten fanden in der Architektur des Klassizismus eine repräsentative Monumentalität vor.

[14] Mit Hopfenveredlung meine ich an dieser Stelle die Trocknung und Haltbarmachung, sowie die Verpackung für den Transport, des Hopfens

[15] Loebl (1999) S. 296

[16] Eidloth (1988) S. 73 ff.

[17] Loebl (1999) S. 296

[18] Eidloth (1988) S. 74 ff.

[19] Eidloth (1988) S. 76

[20] Bamberg besitzt heute keine Straßenbahn mehr.

[21] Eidloth (1988) S. 114

[22] Eidloth (1988) S. 138