"Wiedergutmachung"

Mit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten, in Bayern durch die US-Armee vertreten, trat das Militärregierungsgesetz Nr. 52 in Kraft, welches die völkerrechtliche Restitution, die Rückerstattung, sichern sollte. Im Sommer 1946 beschäftigte sich zwar ein Sonderausschuss des Länderrates mit entsprechenden Gesetzen und Regelungen, aufgrund von andauernden Meinungsverschiedenheiten wurden die Verfahrensweise zur Rückerstattung in den entsprechenden Gebieten  jedoch zuerst von der US-Armee bestimmt[1]. Am 10. November 1947 erlässt die  US-Militärregierung in ihrem Gebiet das Militärregierungsgesetz Nr. 59, in welchem ab dem 1. Januar 1948 die "Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte" geregelt wurde. Rechtsgegenstand waren alle Gegenstände und Rechte, die einem vom Nationalsozialismus Verfolgten während der NS-Zeit abgezwungen oder genommen waren. Dies betraf unter anderem Firmen und Betriebe mit allem Zubehör. Ein Jahr später wurde dieses Gesetz durch das Entschädigungsgesetz ergänzt. In diesem wurden Ansprüche auf Fürsorgezahlungen gegen den Staat geregelt. Es betraf Personen, die einen immateriellen Schaden, wie den Schaden an Leib und Leben, an der Gesundheit, am wirtschaftlichen Fortkommen usw., erlitten hatten. Hierzu zählten auch die vielen erzwungenen Firmenliquidierungen in den 30er-Jahren. Laut Rückerstattungsgesetz mussten die noch lebenden Opfer, oder deren Erben, bis zum 31. Dezember 1948 ihren Rückerstattungsanspruch in der zentralen Anmeldestelle in Bad Nauheim schriftlich anmelden. Für Bamberger Rückerstattungsanträge war die Wiedergutmachungsbehörde für Ober- und Mittelfranken in Fürth zuständig, welche selbst dem Bayerischen Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung untergeordnet war. Die Prozedur war folgende: nachdem ein Rückerstattungsantrag gestellt und zur Bearbeitung bereit war wurde der "Antragsgegner", in vielen Fällen der neue Firmenbesitzer, informiert. Dieser hatte nun zwei Monate Zeit, Widerspruch einzulegen. Im Anschluss an diese Einspruchszeit begann die Verhandlung zwischen den jüdischen Antragstellern und den einst arischen Antragsgegnern. Das Ziel der Behörde war es, eine gütliche Einigung zu erreichen. War dies nicht möglich, so waren als weiterführende Instanzen die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth, danach der Wiedergutmachungssenat beim Oberlandesgericht und zuletzt der Board of Review in Nürnberg zuständig, der als "Nachprüfeinstanz" für das gesamte Besatzungsgebiet der US-Armee zuständig war. Eine bundesweite Regelung der Angelegenheiten für Rückerstattung gab es in Deutschland erst ab 1957 mit dem "Bundesgesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger", kurz BrüG genannt.

Bezüglich Bamberger Firmen sind 36 Rückerstattungsverfahren bekannt. Die meisten der Bamberger Rückerstattungsanträge gingen erst im November und Dezember 1948, kurz vor Fristende, bei der zuständigen Behörde in Bad Nauheim ein. Die meisten der ehemaligen jüdischen Bamberger, die einen Antrag auf Rückerstattung stellten, ließen diesen über Anwälte in Deutschland regeln. Es war ein großer bürokratischer Aufwand zu bewältigen. Man musste zum Beispiel vom Ausland aus Bescheinigungen über den Todeszeitpunkt des betreffenden Beerbenden in einem Vernichtungslager oder einen Nachweis über die Erbfolge einholen und darlegen. Es waren Bestätigungen städtischer Gewerbeämter und Handelsregisterauszüge anzufordern und das alles in einem in vier Sektoren gegliederten und später geteilten Deutschland. Es lässt sich auch sehr gut nachvollziehen, dass diese Menschen, deren schreckliche Erlebnisse und Erinnerungen an einen bürokratisch gut durchorganisierten Staat, welcher die Ausrottung ihres Volkes zum Ziel hatte, sich nun davor scheuten, abermals mit dem Behördenapparat dieses Staates in Kontakt zu treten. Nur sehr wenige ehemalige jüdische Bamberger kamen zu diesem Zweck nach Deutschland zurück. Trotzdem, in den meisten Fällen konnten die nötigen Unterlagen vollständig eingereicht werden und es kam zu einem Verfahren. Von der Anmeldung bis zum endgültigen Ergebnis der Bamberger Verfahren vergingen im Durchschnitt 3 Jahre und ein Monat. Im Fall der Holzgroßhandlung Franke & Fickenwirth dauerte das Rückerstattungsverfahren jedoch 24 Jahre und 9 Monate, dieser wird in der Literatur als Sonderfall benannt. Die Verfahren wurden alle in den Jahren zwischen 1949 und 1974 beendet. Es wurden 1949 fünf Fälle beendet, 1950 dreizehn, 1951 zehn, 1952 vier und je ein Fall in den Jahren 1953, 1956, 1958 und 1974 (Fichtl u.a., 1998, S.203). Von den 36 Rückerstattungen ehemals arisierter Firmen wurden 25 Verfahren bereits vor der Wiedergutmachungsbehörde geregelt. Neun Fälle wurden in erster Instanz der Wiedergutmachungskammer vorgetragen und dort verhandelt. Lediglich zwei Rückerstattungsverfahren mussten bis zur letzten Instanz für ihr Recht kämpfen, bevor es zu einem Urteilsspruch kam[2]. Diese Verhältnisse entsprechen prozentual in etwa dem bayerischen Durchschnitt. Bemerkenswert ist der große Anteil der Verfahren, die mit einem Vergleich endeten. Es waren dies 33 von 36  Fälle. In 26 der Verfahren kam es nicht zu einer tatsächlichen Rückübereignung sondern zu Nachzahlungen. Sechs der verhandelten Firmen wurden wieder in den Besitz ihrer jüdischen Gründer übereignet, so geschehen mit der Firma Kupfer & Mohrenwitz, die an die früheren Besitzer zurückging. Diese zahlten dem Ariseure jedoch die Summe von 125 000 DM als Ausgleich. Bei zwei Verfahren gingen die Antragsteller allerdings leer aus. Zum einen handelte es sich um ein Geschwisterpaar aus Arkansas (USA), deren Bruder Albert Walter ein landwirtschaftliches Maschinengeschäft in der damaligen Sophienstraße (heute Willy-Lessing-Str.) besaß. Die Schwestern sahen sich anscheinend von den gestellten Bedingungen, den herbeizuschaffenden Unterlagen, der deutschen Behörde überfordert und  verzichteten enttäuscht und in ihren Gefühlen verletzt auf ihr Erbe. Diese Enttäuschung äußerte sich in einem in der Literatur auszugsweise zitierten Brief.  Zum anderen wurde den Erben von Willy-Lessing der damalige Verkauf seiner Hofbräu-Aktien vom "US-Court of Restitution Appeals" (vormals "Board of Review") nicht als "Entziehung" im Sinne der Rückerstattungsgesetzgebung anerkannt. Als "Entziehung" definieren Fichtl u.a. als "Wegnahme oder Weggabe unter Zwang". Eine Steigerung dieses Sachverhalts stellt sich dar, wenn z.B. "der Verkauf eines Betriebs unter dem Eindruck der Kollektivverfolgung aber nicht freiwillig zustande kam" und zudem "eine Drohung, unerlaubte Handlungen o.ä. des Entziehers oder eines Dritten hinzukommt"[3]. Dieser Sachverhalt wird dann als "schwere Entziehung" bezeichnet.

Dass es sich bei dem Prozess der Wiedergutmachung um einen, im Sinne des Wortes, nicht komplett durchzuführenden Versuch von später Gerechtigkeit handeln kann,  dürft jedem, der sich die Situation vor Augen hält, klar sein. Das Leid, die Leben der Getöteten, das verlorene Kapital und die zerstörten Existenzen sind den Menschen ebenso wenig wiederzubringen wie es nicht möglich ist, die schrecklichen Erfahrungen auszulöschen, die den Vertriebenen von den Nazis angetan wurden. Zudem ist es immer eine Gradwanderung zwischen Recht und Unrecht wie mit den enteigneten jüdischen Antragstellern und den "Nachkriegsbesitzern" der ehemals jüdischen Liegenschaften umgegangen und welche Urteile gesprochen werden. Es handelt sich um ein besonderes Dilemma, wenn die sogenannten "Ariseure" bzw. die nichtjüdischen Besitzer scheinbar und in redlicher Absicht nicht zu Unrecht handelten, nun aber berechtigte Rückerstattungsansprüche der jüdischen Besitzer gestellt werden. Auch hierfür gibt es in der Bamberger Nachkriegsgeschichte ein adäquates Beispiel.

Als ein solches kann das Verfahren bezüglich der Hopfenhandlung Gustav Buxbaum dienen. Der Inhaber selbiger Firma griff in den 30er-Jahren zu einem Trick, um seine Geschäfte von den Nazis unbehelligt, weiterführen zu können. Er ließ von zwei vertrauenswürdigen nichtjüdischen Mitarbeitern seiner Hopfenhandlung eine weitere Hopfenhandlung auf deren Namen gründen und übertrug seine Geschäftsbeziehungen und seinen Handel Stück für Stück auf diese neue Firma. Die beiden Geschäftsführer waren jedoch weiterhin faktisch Angestellte des damaligen Inhabers Dr. Karl Rau und es gingen auch alle Gewinne auf sein Konto ein. Nachdem die "Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Geschäfte" vom 22. April 1938 erging, musste jedoch auch diese Scheinfirma schließen. Dr. Karl Rau kündigte seinen Angestellten auf Jahresende und kurz darauf verließ er Deutschland in der Hoffnung, seinen Handel von Brüssel aus weiterführen zu können. Die ehemaligen Angestellten ergriffen nun jedoch von sich aus in guter, das heißt in nicht-antisemitischer, Absicht die Initiative, um einer Erwerbslosigkeit entgegenzuwirken. Sie schlossen mit der Schwiegermutter von Karl Rau, Henriette Buxbaum, der Eigentümerin des Buxbaumschen Firmengrundstücks, einen Mietvertrag ab und betrieben die Hopfenhandlung in eigener Regie weiter. 1948  stellte Karl Rau und seine Familie einen Antrag auf Rückerstattung mit der Begründung, dass die früheren Angestellten faktisch die gesamte Firma Buxbaum samt dem Kundenstamm und der guten Handelsbeziehungen mit übernommen hätten. Das Dilemma bestand nun darin, dass die "neuen Besitzer" der ursprünglich jüdischen Hopfenhandlung Buxbaum keinesfalls aus materiell-egoistischen Gründen gehandelt hatten. Ebenso war es nicht ihr Ziel, den früheren jüdischen Besitzer zu vertreiben. Es wird von einem Verhältnis zwischen Firmenleitung und den Mitarbeitern als immer nur des besten Einvernehmens berichtet, es wurde lediglich beabsichtigt, die eigene Existenz in einem erlernten und bekannten Gewerbe zu sichern. Die "Ariseure" der Firma Buxbaum machten folgende Aussage: "Die Firma Buxbaum habe zu diesem Zeitpunkt außerdem keinerlei Wert mehr gehabt, für den man etwas hätte bezahlen müssen"[4]. Hinter dieser Aussage mag keine schlechte Absicht stehen, fataler Weise bestätigt sie jedoch genau den Erfolg, den sich Hitler mit seiner Politik den Juden gegenüber versprach. Jüdischer Besitz und jüdisches Kapital gingen dem Anschein nach ganz legal und rechtmäßig in arischen Besitz über und dessen ehemalige Besitzer wurden enteignet und oftmals "vernichtet".

Abschließend sei zum Thema "Wiedergutmachung" in Bamberg zu bemerken, dass es das einzige und das letzte Mal im Rahmen deutscher Wiedergutmachungsverfahren der Fall war, dass sich die Kontrahenten, Antragsteller und Ariseur, direkt gegenüber standen. In späteren Entschädigungsverfahren gingen die Forderungen direkt an den Staat. Mit Versöhnung hatten die Wiedergutmachung und die Rückerstattungsverfahren allerdings wenig zu tun. Ganz im Gegenteil, sie trugen oftmals dazu bei, dass Juden keine fünf Jahre nach Kriegsende erneuten antisemitischen Anfeindungen und Polemisierungen ausgesetzt waren. Bereits 1950 monierte der hessische Finanzminister Werner Hilpert angeblich überhöhte Rückerstattungsbeträge, die unweigerlich den finanziellen und wirtschaftlichen Ruin Deutschlands herbeiführen bzw. verstärken würden. Er bediente sich einer äußerst geschmacklosen wie aussagekräftigen Anspielung: "Wenn wir diese Summe (37 Milliarden DM) aufzubringen hätten, müssten wir alle den Gashahn aufdrehen."[5] Mit solchen Aussagen in der Öffentlichkeit stehender Personen und einer stark Stimmung machenden Presse wurde in weiten Teilen des Volkes die Einstellungen gegenüber Juden und dem sogenannten "Weltjudentum" zusehends negativ beeinflusst. Fichtl u.a. zitierten Peter Sichrovsky, der zum Thema Wiedergutmachung folgendes schrieb: "Die Wiedergutmachung war eine Wieder-JUD-Machung. Die Überlebenden wurden gezwungen, sich bittend und bettelnd anzustellen, und den Mördern zu einer guten Tat zu verhelfen. Nicht die Tat wurde damit wiedergutgemacht, sondern die Täter!"[6]

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[1] Fichtl u.a. (1998) S. 201 ff.

[2] Fichtl u.a. (1998) S. 203 ff.

[3] Fichtl u.a. (1998) S. 206

[4] Fichtl u.a. (1998) S. 208

[5] Fichtl u.a. (1998) S. 208

[6] Fichtl u.a. (1998) S. 214